Jorn Utzorn - Can Lis, Mallorca 1972
Eine phänomenologische Beschreibung
Eine Straße führt von einem ehemaligen Fischerdorf aus über viele Kilometer entlang einer Steilküste. Man spürt, dass das Meer sehr nah sein muss, aber es tauchen nur ab und zu Häuser zwischen den Büschen und verkümmerten Pinien auf. Das Can Lis ist eines der unscheinbarsten; außer einer langen abweisenden Sandsteinmauer gibt es auf den ersten Blick nichts, was auf ein Wohnhaus hindeutet. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass in der Mauer einige wenige Fenster eingelassen sind. Der überdachte Eingang nutzt geschickt einen Mauervorsprung aus, um sich auf diese Weise etwas mehr vor etwaigen Unbillen des Wetters zu schützen. Die Überdachung beherbergt auch eine steinerne Sitzbank, die zum Ausruhen einlädt.
Hinter der Eingangstür erwartet einen nicht ein ungehinderter Blick aufs Meer, wie man vielleicht erwarten würde, sondern man steht vorerst in einer sehr kleinen Eingangsdiele. Nur eine kleine mondsichelförmige Öffnung in der gegenüberliegenden Wand, erlaubt einen vagen Blick zwischen Hecken hindurch auf das blaue Meer.
Entscheidet man sich nach links - Norden - weiter zu gehen, so wird auch hier derjenige, der mit einem freien Blick auf das Meer gerechnet hat, abermals auf später vertröstet, da man nun in einem von mannshohen Mauern umschlossenen Hof steht. Eine weitere steinerne Sitzbank lädt zum Verweilen ein. Die östliche Einfassung dieses introvertierten Hofes, wird von einem Säulengang gebildet, der zugleich als überdachter Eingangsbereich zu dem daran anschließenden Wohnzimmer dient.
Erst wenn man in das Wohnzimmer eintritt, kommt man endlich in den Genuss des grandioses Ausblicks, welches die unmittelbare Lage direkt am Meer von Anfang an versprochen hatte. Das Wohnzimmer ist ein monolitischer Kubus, der Assoziationen mit den Talaios (wehrhafte Türme, die entlang den balearischen Küsten errichtet wurden, um rechtzeitig vor Piratenüberfällen warnen zu können) weckt. Der obere Teil des sechs meter hohen Kubus ist bis auf ein kleines Fenster in einer Raumecke geschlossen, während das untere Drittel von mehreren zwei Meter hohen Fenstern durchbrochen wird. Durch ihre erstaunlich tiefen schießschartenartigen Laibungen, tragen sie dazu bei, dass der Eindruck erweckt wird, man befände sich in einem höhlenartigem Körper. Dies muss ganz bewusst so beabsichtigt sein, denn genauso, wie bei einem schönen Sommertag, der Blick durch eines der rahmenlosen Fenster wahre Hochgefühle erzeugt, so muss man sich bei einem Unwetter, geradezu wie in einem Bild Turners hineinversetzt fühlen. Denn unweit des Fensters befindet sich die Bruchkante der Steilküste, hinter der sich das endlose Blau des Mittelmeeres sich am Horizont verliert und sich mit dem Himmel darüber vermischt. Die scheinbar meterdicken Wände des Wohnzimmers erzeugen jedoch das an diesem exponierten Ort benötigte Sicherheitsgefühl, welches für ein behagliches Zuhause unabdingbar ist.
Einzige Möbel des sechs Meter hohen Raumes ist eine halbkreisförmige, in der Raummitte plazierte Sitzbank mit dazugehörigen Kreissegmenttischen, die um einen gemeinsamen Mittelpunkt herum angeordnet sind. Dies ist eine geschickte Lösung, um allen einen Ausblick zu ermöglichen, ohne auf ein gemütliches Gegenübersitzen verzichten zu müssen.
Verlässt man das Wohnzimmer und betritt den Hof wieder, so kann man durch einen breiten Spalt zwischen dem Säulengang und der Hofmauer nördlich über einen kurzen, mit wenigen Trittsteinen angedeuteten Pfad zu einem weiterem Bungalow gelangen. Während man hierbei ins Freie tritt und zwischen der eingangs erwähnten Mauer und einem vor Sonne und Regen schützenden Baum entlanggeht, kann man zwischen den beiden Gebäuden und diversen Büschen hindurch einen Blick aufs Meer erhaschen. Der Zutritt zum nächsten Hof, erfolgt auf gleicher Weise: die Hofummauerung führt nicht ganz bis zu dem Bungalow heran und lässt somit einen breiten Spalt als Durchgang offen. Der dahinterliegende Hof ist wie im voherigen Fall ein Rückzugsraum; bietet statt der Sitzgelegenheit, mehr Begrünung. Der über diesen Hof erschlossene Schlaftrackt ist dem Stützenraster folgend dreigeteilt; in der Mitte befindet sich eine Gemeinschaftszone mit einem bis aufs nötigste reduziertem Bad und einer Loggia, rechts und links jeweils ein Schlafzimmer. Die Schlafzimmer entsprechen ihrer Kubatur her dem Wohnzimmer; sie verfügen über einen überhöhten Raum mit den gleichen schießschartenartigen übergroßen zum Meer blickenden Fenstern. Auf der zum Hof gewandten Seite befindet sich eine Schlafnische.
Auch der nördlichste Bungalow ist wie auf schon beschriebener Art und Weise erreichbar. Er dient ebenso dem Schlafen und gleicht ihm daher. Diesem steht jedoch kein eigener Vorhof zur Verfügung, sondern wird über die Loggia erschlossen. Ermöglicht wird dies dadurch, dass diesem Schlaftrackt - bei sonst nahezu identischem Grundriss – das südliche Schlafzimmer fehlt. Im übrigen besteht der einzig weitere signifikante Unterschied, dass das Schlafzimmer nur eine normale Raumhöhe besitzt.
Geht man, statt den gleichen Weg zurück zu nehmen, außen an den Bungalows zurück, so wird man mit einiger Überraschung feststellen, das die Fenster nicht in überdimensional dicke Wände eingelassen sind, sondern dass es sich um gemauerte Ausbuchtungen handelt. Die sind vorallem deshalb als solche erkennbar, weil das mit den traditionellen mallorquinischen Ziegeln bedeckte Dach baulich nicht mit den Ausbuchtungen verbunden ist und über diese hinausragt. Das hat den Vorteil, dass die Ausbuchtungen durch dieses quasi mehrschalige Dach nicht nur hervorragend vor Regen geschützt sind, sondern dass sie sich durch diese Verschattung, thermische Trennung und Hinterlüftung auch nach vielen Sommertagen nicht übermäßig aufheizen. Die Fenstergläser sind an den Stirnseiten der Ausbuchtungen mit einfachen Holzleisten angebracht, so dass von innen der Ausblick nur vom Steinfußboden und den Sandsteinmauern begrenzt wird.
Desweiteren nimmt man erst jetzt wahr, wie die einzelnen Gebäude wie an einer Perlenschnur aneindergereiht sind und ein dorfähnliches Ensemble bilden. Auch ist gut erkennbar, wie sich die Kuben der zwei überhöhten Schlafzimmer und vorallem des Wohnzimmers sich eindrucksvoll aus der Ebene der Ziegel bedeckten Flachdächer erheben.
Läuft man an vor den Bungalows entlang und hat sich soweit an die Bruchkante herangewagt hat, dass man einen Blick auf das 20m senkrecht unter einem an die Felswand brandende Meer werfen kann, drängt sich der Gedanke auf, man sei am Ende der Welt angekommen. Es fällt auf, das alle Gebäude in einem leicht anderen Winkel zu einander stehen, gerade so, als ob sie damit ihre Selbständigkeit unterstreichen wollten. Hinter dem Wohnbungalow kommt das vierte und südlichste Gebäude der Anlage zum Vorschein.
Wie bei allen Gebäuden, wurde für dieses Gebäude augenscheinlich nur drei Materialien verwendet: Sandstein, Beton und Ton. Dies sind heutzutage typische Baustoffe der Insel. Mit Sandsteinblöcken sind die Wände gemauert, die weiß gestrichenen Stahlbetonträger werden als Stürze bzw. Unterzüge gebraucht, aus Ton bestehen die Dachziegel und die auf Untergurte der Stahlbetonträger gestützten gewölbten Verblendungen der Decken.
Der Grundriss baut auf einem quadratischen Raster auf. Die einzigen geschlossenen Räume, sind die auf der Straßenseite liegenden, welche die Küche, Speisenkammer, Esszimmer und einen Abstellraum beherbergen. Davor, rechts von der Eingangsdiele, liegt ein U-förmig verlaufender Säulengang, der einen sich zum Meer hin öffnenden Platz umschließt. Das Esszimmer öffnet sich dank einer großzügen Vollverglasung zu dem Säulengang, respektive Platz, der gleichsam der Bühne eines Theaters über eine wahrhaft eindrucksvolle Kulisse verfügt – die unendliche Weite des Mittelmeeres.
> Fotogalerie (Detail-, Innen- und Außenansichten)
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